Einige Häuser einer modellhaften Siedlung mit rund 300 Wohneinheiten sollen abgerissen werden. Architekt Josef Rings gilt als vergessener Pionier der modernen Architektur und des neuen Bauens.
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Man biegt von der viel befahrenen Frankenstraße im grünen Essener Süden ab und staunt: Inmitten von zusammengewürfelter Wohnbebauung reckt sich ein eleganter Torbogen in einem schlichten gelben Gebäude empor. Er signalisiert: Hier steht was, das nicht zufällig gewachsen ist. Man parkt, und guckt mal vorsichtig rechts und links: Eine Schule, stattliche Einfamilienhäuser, spielende Kinder in der Straße. Und hinter dem Torbogen eine perfekt symmetrisch aufgebaute Siedlung aus den 20er-Jahren. Der Eyhof.
Letztes Jahr feierte er 100. Geburtstag, während die Mieter von 38 Wohneinheiten um ihre Wohnungen und die genossenschaftlich festgelegten günstigen Mieten bangen. Sie hatten schon 2019 ein Schreiben erhalten, dass sie ihre Wohnungen bis 2024 zu räumen hätten. Die Osterfelder Wohnungsgenossenschaft GE-WO will sieben Häuser im Eyhof abreißen und durch Neubauten ersetzen. Das passt alles nicht zusammen. Um herauszufinden, warum der Eyhof gerade solche Wellen schlägt, war ich Anfang 2021 dort und habe mit der Kamera ein Nachmittagsründchen gedreht.
Landwirtschaftliche Flächen im Essener Süden werden bebaut
Aufgebaut ist die Siedlung um den zentralen so genannten Grünhof – eine längliche Grünanlage, die als Hauptachse von besagtem Torbogenhaus bis zum Wald führt. Mehrere Querstraßen kreuzen den Grünhof, auch sie teilweise mittig begrünt. Den Abschluss zum Wald hin bietet die Straße Waldsaum, die im weiten Halbkreis die Siedlung umfängt. Das Torbogenhaus schließt die Siedlung zum Stadtwald genannten Wohnviertel hin ab. Sieben Häuser links des Torbogenhauses sollen fallen.
Der Stadtteil Stadtwald war traditionell landwirtschaftlich geprägt und die Besiedlung nahm nach der Eingemeindung der südlichen Essener Stadtteile wenige Jahre zuvor in den 20ern Fahrt auf. Viele Flurnamen verweisen noch auf die Höfe oder die Landwirte (Gebrandenhof, Vittinghoffstraße, Kleppes Feld). Das stimmt mich ein bisschen nostalgisch – meine Oma absolvierte ihr so genanntes Pflichtjahr bei einem Bauern im Stadtwald. Ein weiteres Indiz für die ländliche Vergangenheit: Im Eyhof gibt es eine kleine Straße mit dem Namen Hagelkreuz. Diesen Weg nahm in der jährlichen Bittwoche eine Hagelprozession – für eine gute Ernte.
Wohnraum für Bürger und Beamte in der boomenden Industriestadt
Errichtet wurde die Eyhof-Siedlung in den 20ern durch eine für die Zeit typische Baugenossenschaft, den „Gemeinnützigen Bauverein Essen-Stadtwald“. Sie beauftragte den Architekten Josef Rings, und das sollte sich als hervorragende Wahl herausstellen. Er hatte bei Krupp gearbeitet und sich um die Arbeitersiedlungen des Stahlkonzerns gekümmert. Unter anderem begleitete er den Ausbau der Gartenstadt-Siedlung Margarethenhöhe. Rings kannte sich also gut mit kleinteiligem Siedlungsbau aus. Und er war – ohne dem Bauhaus anzugehören – auf den gleichen Ideenpfaden unterwegs: Bauen sollte rational und ökonomisch sein, mit standardisierten Bauformen. Gleichzeitig wollte Rings den Menschen den Genuss von Licht und Grün ermöglichen. Er nahm Prinzipien des Neuen Bauens vorweg – ein echter Pionier. So wie übrigens Baurat Bruno Kleinpoppen, der im Essener Süden einen bauhausiges Ensemble schuf: die alte Polizeischule.
Freundliche Atmosphäre in der Siedlung
Sein Auftrag in Essen-Stadtwald lautete, eine „Kleinstadt für Beamte und Bürger“ zu schaffen. Auf der Website der Eyhof-Siedlung findet sich die schöne Erklärung, dass er die Gemeinsamkeiten und Einzelinteressen gut miteinander in Einklang brachte. Und das merkt man heut noch. Beim Rundgang fand ich die Atmosphäre sehr angenehm entspannt. Omas standen mit ihren Rollatoren und plauderten – natürlich maskiert –, Kinder fuhren Roller, Jugendliche starrten gemeinsam auf ein Handy, Paare gingen spazieren und grüßten. Eine Bewohnerin, die ihr Gärtchen in Schuss brachte, bestätigte mir lächelnd, wie angenehm das Wohnen dort sei. Und das, obwohl die Siedlung zwar luftig geplant, aber doch kompakt gebaut ist. Man muss die Nachbarn schon mögen.
Kein Denkmalschutz für den Eyhof – Denkmalamt hat anderes zu tun
Insgesamt 183 Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser mit Garten umfasst der Eyhof. Das bedeutet: rund 300 Wohnungen mit einer Wohnfläche von je zwischen 100 und 160 Quadratmetern. Anders als eine von Rings geplante Siedlung in Gelsenkirchen ist der Eyhof nicht denkmalgeschützt. Gegenüber der Neuen Ruhr Zeitung (NRZ) sagte Hedwig Rosker-Hansel von der unteren Denkmalbehörde, dass Denkmalschutz für die Eyhof-Siedlung nie geplant gewesen sei. Die NRZ zitiert sie: „Wir können nicht alles erhalten, was uns in der Stadt als schön erscheint.“ Den Leiter des Stadtplanungsamtes Ronald Graf zitiert der gleiche Beitrag vom 19.8.2020: „Wenn es politischer Wille ist, dass wir uns um die Eyhof-Siedlung kümmern, müssen wir andere Aufgaben zurückstellen.“
Die Abwesenheit von Denkmalschutz hat zur Folge, dass die Gebäude in kunterbunten Zuständen koexistieren. Neben liebevoll original erhaltenen Fassaden findet man Eternitplattenverkleidungen und heitere 80er-Verschönerungen. Dennoch spürt man, dass alles zusammengehört und sinnvoll zusammengefügt ist. Aus meiner Sicht wäre es wirklich höchste Zeit, das Ensemble zu schützen und die Eigentümer und Anwohner dabei zu unterstützen, seine harmonische Form zu bewahren.
Josef Rings – ein Pionier geht ins Exil
Im Jahr der Feierlichkeiten zum Bauhaus 2019 würdigte NRW seine berühmten Vertreter, zum Beispiel den Hohenhof von van de Velde in Hagen oder die Villen sowie die Vereinigten Seidenwebereien von Ludwig Mies van der Rohe in Krefeld. Unter dem Hashtag #bauhausimwesten richtete das Land seinen Blick auf die Vorreiter, die Modernen. Auch Josef Rings wurde eine Ausstellung gewidmet, gemeinsam mit seinem Kollegen Erich Mendelsohn. Ihr Titel „Neues Bauen in Deutschland und Palästina-Erez Israel“. In der Ausstellung konnte man erfahren, wie Rings, ein etablierter Architekt, im Rheinland verwurzelt, mit Mitte 50 Deutschland verlassen musste, weil er als Sozialist und Mann einer Jüdin unter den Nazis nicht bleiben konnte. Er emigrierte nach Palästina und arbeitete als Architekt. Leider ist ein Teil seines Nachlasses unauffindbar, sodass man nicht alle seine dortigen Projekte mehr nachvollziehen kann. 1948 kehrte Rings als Professor für Architektur nach Deutschland zurück und starb 1957 in seiner Heimatstadt Bad Honnef.
Die Ausstellung zeigte auch, dass Rings als „vergessener Pionier der modernen Architektur“ eine prägende Persönlichkeit für Essen gewesen ist. Nicht nur hat er mehrere Siedlungen entworfen, auch der im Krieg zerstörte, markante Vorgängerbau der Grugahalle stammt aus seiner Feder sowie Entwürfe für Zechen und Theorien zur Stadtplanung. Zeit für eine Wiederentdeckung!
Summary
Eyhof building collective with 300 flats/houses from the 20s is located in a green suburb of Essen, Germany. The estate was planned by architect Josef Rings, who, as a member of the newly-banned Social Democratic Party and married to a Jew later had to flee Germany. After proficient years in Tel Aviv he returned to Germany in 1948 as a university professor. Eyhof is not protected. Some of the buildings are earmarked for demolition and for being replaced. Inhabitants fear that their traditionally low rents will rise as Stadtwald quarter of town has become very popular recently. The town of Essen does not see an interest in heritage protection for this modernist model estate.