Im Schmuckmuseum in Pforzheim läuft seit Ende März eine Schau ganz nach meinem Geschmack: Werke von Künstler-Juwelieren aus der Nachkriegszeit. Ich erzähle von einigen dieser Stücke und lasse Schmuckdesign und Architektur der 60er und 70er Jahre in Dialog treten.
English summary below
Seit Wochen schon hatte ich mich auf die Ausstellung „Einfach brillant – Künstler-Juweliere der 1960er und 1970er Jahre“ gefreut, habe sie aber – coronabedingt – leider noch nicht besuchen können. Gewappnet mit dem Katalog konnte ich mir schon einen Eindruck verschaffen. Kurz vorweg: Das Schmuckmuseum in Pforzheim und ich, wir haben eine Geschichte miteinander. Es gibt persönliche Verbindungen und ich habe vor einigen Jahren auch Texte geschrieben fürs „SchmuMu“, dessen Ausstellungen mir immer wieder solche Freude bereiten und die meinen designgeschichtlichen und ethnografischen Horizont erweitern. Jetzt mal über eine Ausstellung zu schreiben, ist ein spannender Perspektivwechsel.
Dass das Design der 60er und 70er Jahre heute neue Wertschätzung erfährt, dafür ist die Ausstellung ein positives Beispiel. Gebäude aus der Zeit werden vom Denkmalschutz gewürdigt, Autos zu hochpreisigen Sammelobjekten, Möbel beliebter Designer nahezu unbezahlbar für die Fangemeinde. Höchste Zeit, einen genauen Blick auf das Schmuckdesign der Zeit zu werfen. Das umfasst theoretisch große knallige Plastikarmreifen ebenso wie neureiche Panzerketten. Die Ausstellung in Pforzheim fokussiert sich auf Werke von Künstler-Juwelieren – unter den 45 gezeigten Künstlern befindet sich leider nur eine Handvoll Frauen. Renommierte Häuser wie Cartier, Bulgari oderTiffany’s ließen extravagante, zeitgemäße Stücke von Schmuckkünstlern entwerfen oder fertigen. Das Ziel: das gewohnte Sortiment um junge, unkonventionelle Linien und Werke zu erweitern.
Gesellschaftliche Strömungen in der Gestaltung ablesbar
Was ich so toll finde an den Stücken – außer ihrer außergewöhnlichen Handwerkskunst und den phantastischen Materialien natürlich –: dass sie so viel von der Zeit erzählen und gleichzeitig aber viel mehr als „Zeitgeschmack“ sind. Besonders in den 60ern war die Gesellschaft stark im Umbruch, trieben die Menschen so viele neue Themen um. Rebellion, Rock ’n‘ Roll, der Vietnamkrieg, die Bürgerrechts- und Frauenbewegung, halluzinogene Drogen, eine Rückbesinnung auf die Natur, zeitgleich mit einer neuen Stufe der Technik- und Fortschrittsorientierung prägten diese turbulenten Jahrzehnte. Die Grenzen zwischen Kunst, Design, Handwerk und Architektur begannen zu verschwimmen. Radikale Veränderungen in der Gesellschaft finden sich auch in den hochpreisigen Schmuckstücken der Ausstellung.
Für den gedanklichen Brückenschlag zwischen dem Schmuckdesign und der Architektur der Zeit will ich drei Themenkreise beleuchten: die Weltraum- und Technikbegeisterung, die Rückbesinnung auf die Natur und den gestalterischen Minimalismus.
Ferne Galaxien – Faszination Weltraum
Dieses erste meiner drei Themen war mir zuletzt in Moskau begegnet, in Form der vielen Skulpturen, die dort an den sowjetischen Satelliten Sputnik und den ersten Mann im Weltraum, Juri Gagarin, erinnern. Die Technikfaszination und die Euphorie der Zeit muten heute etwas rührend an, aber sie wecken auch Erinnerungen daran, wieviel Vertrauen in Technik und technische Lösungen man damals hatte – in West und Ost. Lava-Lampen, Space-Age-Design, ausgefallene runde Formen, Mode im uniform-inspirierten Weltraumlook: Gestalterinnen und Gestalter ganz unterschiedlicher Disziplinen ließen sich von der Vorstellung inspirieren, dass es bald hoch hinaus gehen würde. Die aus meiner Sicht schönsten oder zumindest liebenswertesten Stücke der Ausstellung gehören in diese Kategorie.
Zurück zur Natur – die organische Form
Die Technikbegeisterung und zunehmende Industrialisierung brachten Wohlstand für die Mittelschicht. Nicht anders als in Deutschland boomten zum Beispiel auch die Wirtschaft und der persönliche Wohlstand in England. Der Schmuck wurde zum Statement; es war eine Befreiung, aus dem Vollen schöpfen zu können. Viel Dynamik also für die wilde, junge Szene des Schmuckdesigns.
Die bürgerliche Zufriedenheit und ihre konservative Grundeinstellung brachten zunächst in den USA einen Gegenpol hervor: die Jugendbewegung der Hippies – oder Blumenkinder. Sie übten Konsumkritik und setzten sich für Naturverbundenheit ein. Das Schützen und Bewahren der Natur weitete sich aus in die Friedensbewegung mit dem epischen Slogan „Make love, not war“, der wiederum seinen Weg in die Popkultur fand.
Respekt vor der Natur war also ein zentrales Thema unseres Ausstellungszeitraums und ist mein zweites Thema. Anstatt die Ausgangsmaterialien der Gestaltung unterzuordnen, ließen sich die Designer von der natürlichen Form leiten oder zumindest inspirieren. Das kam in gestalterischer Hinsicht einem Bruch mit der Tradition gleich und passte – auf hochpreisige Weise – zu den Themen der Jugendkultur. Deshalb ist es besonders pikant, dass die gezeigten Luxusjuwelen ausgerechnet die Strömung zitieren, deren Protagonisten sich mit Holzkugeln und Blumen schmückten!
Weniger ist mehr – Minimalismus
„Ornament und Verbrechen“ – unter diesem Titel propagierte der österreichische Architekt Adolf Loos schon in den 30ern den Verzicht aufs schmückende Beiwerk und formulierte damit einen der Grundsätze der Moderne: die Reduktion auf die klare Form. Viele große Architekten arbeiten nach diesem Prinzip – bis heute. Schlichtheit und Reduktion sind also keine Errungenschaft der 60er und 70er Jahre. Aber eine wichtige Strömung neben den flamboyanten, eher vom starken Statement geprägten Werken der Zeit. Dennoch finden sich einige wunderbare Stücke in der Schau „Einfach brillant“, die ja zumindest das Einfache im Titel trägt.
Da Schmuck aber ja genau das ist – nämlich Ornament für den Träger oder die Trägerin – dachte ich erst, dass sich hier keine Verbindung zwischen den Juwelierentwürfen und der Architektur der Zeit zeigen würde. Aber ganz im Gegenteil: Nach einer Weile war mir klar, wie „architektonisch“ der gezeigte Halsschmuck von Bulgari ist. Er gewinnt seine Klasse und seine Eleganz daraus, dass die Form ohne zusätzliche Verschönerung wirken kann. Viele skulpturale Bauten des Betonbrutalismus, die mir gefallen, funktionieren nach diesem Prinzip: Ihre Form und ihr Material definieren sie, nicht eine kunstvolle Ausarbeitung. Auch der Halsschmuck von Lalaounis in Form eines Tropfens wirkt vor allem durch die Form und das Material, ganz minimalistisch. Vielleicht hätte das Stück auch zu den organischen Formen gepasst? Ein Grenzgänger, ebenso wie sein Architektur-Pendant von Oscar Niemeyer unten im Bild …
Weitere Informationen zur Ausstellung im Schmuckmuseum Pforzheim
Die Ausstellung „Einfach brillant – Künstler-Juweliere der 1960er und 1970er Jahre“ stammt aus einer der wichtigsten Privatsammlungen der Welt und wurde von der in Cincinnati ansässigen Kimberly Klosterman zusammengestellt. Die Schau läuft vom 27. März bis zum 27. Juni 2021. Alles Weitere unter www.schmuckmuseum.de
Auf Youtube kann man einen Blick in die Ausstellung werfen und eine kurze Einordnung der Ausstellung von Museumsdirektorin Cornelie Holzach hören.
Summary
A wonderful show at the Schmuckmuseum / Pforzheim Jewellery Museum presents luxury items by artists jewellers from the 60s and 70s. I took the occasion to look at these breathtaking pieces and to find common ground with the architectural design of the times. The closest links can be found in the themes of space age, organic forms and minimalism.