In zahlreichen deutschen Großstädten entstanden recht rasch nach dem zweiten Weltkrieg Wohnhäuser für berufstätige und alleinstehende Frauen – oft im Volksmund „Drachenburg“ genannt. Ich stelle einige von ihnen vor und versuche zu ergründen, warum es nötig war, solche Häuser zu errichten.
English summary below
Einer der ersten Blogeinträge hier war eine Bestandsaufnahme eines Wohnhauses für die berufstätige Frau in Essen. Ein Zufallsfund. Seitdem sind mir – durch Stadterkundungen, Hinweise befreundeter Nachkriegsarchitekturfans und über eigene Recherchen ein halbes Dutzend dieser Häuser untergekommen – und es gibt sicherlich noch viel mehr davon in weiteren Städten Westdeutschlands. Meine Bestandsaufnahme erstreckt sich derzeit auf folgende Städte, hier in alphabetischer Reihenfolge: Essen, Gelsenkirchen, Karlsruhe, Köln, Nürnberg, Saarbrücken und Ulm.
Bevor ich die einzelnen Häuser vorstelle, will ich versuchen, die Situation ein bisschen einzuordnen. Wie kamen Städte darauf, Frauen in Kleinstappartments in größeren Wohneinheiten einzukasernieren? Wer stieß deren Bau an?
Nissenhütten und Notunterkünfte: Kein Wohnraum für Frauen
Nach dem Krieg herrschte große Wohnungsnot, und alleinstehende Frauen standen bei der Vergabe von neu errichtetem Wohnraum – der auf die Bedürfnisse von Familien ausgerichtet war – nicht eben oben auf der Prioritätenliste. Man ging davon aus, dass Frauen bei Verwandten unterkommen konnten. Doch das war nicht immer der Fall, denn manche hatte vielleicht keine Familie, die sie aufnehmen konnte. Und manch eine Frau wird sich auch gegen eine leise Prostitution zur Wehr gesetzt haben: Gefälligkeit gegen Unterkunft. Was blieb, waren Dachkammern, Souterrainzimmer, Nissenhütten oder Notunterkünfte – auf Dauer problematisch mit Blick auf Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden.
Zudem herrschte nach dem Krieg ein dramatischer Frauen“überschuss“, da viele Männer im Krieg gestorben, in Gefangenschaft waren oder als vermisst galten. In einem hervorragenden Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die Situation von Frauen nach dem Krieg finde ich folgende Zahlen: „Mehr als fünf Millionen deutsche Soldaten waren im Krieg gefallen, unmittelbar nach Kriegsende waren zwölf Millionen Soldaten in Gefangenschaft. Es gab meist nur noch die Alten, die nicht mehr eingezogen werden konnten, und die ganz Jungen, die fast noch Kinder waren. Zwei Drittel der Bevölkerung waren Frauen.“ Noch 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, gab es 2,8 Millionen mehr Frauen als Männer.
Frauen als Alleinversorger: Rollenbilder stehen Kopf
Bei den alleinstehenden Frauen handelte es sich einerseits um Mütter, die sich und ihre Kinder versorgen mussten. Sie wussten oftmals nicht, ob und wann ihr Mann zurückkommen würde. Wenn er dann traumatisiert und verändert zurückkam, konnte er oftmals nicht gleich wieder die Rolle des Ernährers ausfüllen. Die ökonomische Last lag auf den Frauen. Ebenfalls alleinstehend waren die (noch?) unverheirateten jungen berufstätigen Frauen. Sie arbeiteten, weil sie im Krieg und danach ein Leben ohne männlichen „Versorger“ aufbauten.
Frauen arbeiteten in den klassischen Berufen der Fürsorge, im medizinischen und schulischen Bereich. Aber sie waren auch in körperlich fordernden Berufen tätig, zum Beispiel in der Landwirtschaft, als Bauarbeiterinnen, Handwerkerinnen oder in typischen Männerberufen wie dem Führen von Straßenbahnen, LKW etc. Sogar in der Schwerindustrie kamen sie zum Einsatz. Sie hatten die Leitung von Betrieben übernommen und – salopp gesagt – den Laden am Laufen gehalten, so gut das eben ging.
Die Universität Duisburg-Essen hat 2015 den Mythos von den Trümmerfrauen zerlegt , aber auch wenn wir heute die Trümmerfrauen idealisieren: Irgendwer musste ja den Schutt der Innenstädte wegräumen. In Hamburg lockte die Stadt mit zusätzlichen Kalorie-Zuteilungen zu dieser harten Arbeit.
„Ich wäre doch leichter ohne Mann dran.“
Als dann 1949 die vier Mütter und 61 Väter des Grundgesetzes schrieben: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“, geschah das in einer Zeit radikalen Wandels, in dem die Positionen der Geschlechter in der Gesellschaft neu verhandelt wurden. Denn es war nicht immer einfach, das Leben zwischen den hart und stark gewordenen Frauen und ihren nach und nach aus dem Krieg zurückkehrenden Männern. In den Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst in Wien findet sich 1990 ein Artikel über Frauen nach dem Krieg in Hamburg. Darin zitieren die Autorinnen eine Umfrage des Hamburger Echos vom 28.8.1948 zur Fragestellung „Kann ich mir einen Mann leisten?“. Ich gebe hier drei aussagekräftige Antworten wieder.
„Mein Mann kam vor sieben Monaten aus der Kriegsgefangenschaft, wir hatten uns sechs Jahre nicht gesehen. Er kannte das jüngste Kind noch nicht. Zuerst war er sehr erholungsbedürftig, ich habe alles getan, um ihn zu pflegen und ihm zu helfen. Aber mal muß er ja auch schließlich selbst was tun, er vergällt mir auch meine Freizeit mit ewiger Nörgelei. Ich wäre doch leichter ohne Mann dran. Ich muß vier Personen ernähren und mein Mann ißt am meisten. Wie soll ich das nur schaffen?“ (Schaffnerin, 32 J., zwei Kinder).
„Mein Mann ist krank aus dem Krieg zurückgekehrt. ... Ich muß für beide arbeiten und verdienen. Das ist schrecklich schwer in der heutigen Zeit, die Arbeit geht ja nach Feierabend weiter. Also mit meinen Kräften kann ich mir eigentlich keinen Mann leisten. Aber ich habe ihn doch mal, und es muß eben geschafft werden.“ (Bauarbeiterin, 28 J., verheiratet).
„Leisten kann ich ihn mir vielleicht, aber ich will gar nicht. ln der augenblicklichen Situation sehe ich den Mann als reinen Luxusartikel an ... Dazu die laufenden Ausgaben, Zeit, zerrüttete Nerven – leiste sich den Mann, wer kann – ohne mich!“ (Modezeichnerin, Anfang 30, geschieden).
Der Gesetzgeber schickt Frauen zurück an den Herd
Was also tun? Einerseits waren Frauen ein – wenn auch unterbezahlter – Teil der Arbeitswelt in Deutschland geworden. Manche waren tätig, um sich über Wasser zu halten, andere, weil sie in ihrem Beruf aufgingen. Andererseits wollten die heimgekehrten Männer wieder arbeiten und in ihre Rolle als Ernährer zurückschlüpfen. Es entstand eine Konkurrenz um Arbeitsplätze.
Der Gesetzgeber unterstützte die Männer bei der Rückeroberung der Arbeitswelt. So durften Frauen nur so lange als Beamtinnen arbeiten, bis sie heirateten – das legte die so genannte „Zölibatsklausel“ in den Arbeitsverträgen fest. Bereits erwähnter Artikel aus der SZ schildert die Situation mit einer Prise Ironie: „Plötzlich erklärten ärztliche Gutachten, dass die zarten Frauen den Anforderungen im schweren Männerberuf nicht gewachsen seien – all die Jahre zuvor waren sie es durchaus gewesen. In den Kirchen wurde gepredigt, die Frauen sollten doch Platz machen für die armen Männer und wieder an den Herd zurückkehren.“ Dafür sorgte dann das so genannte „Doppelverdienergesetz“, das Frauen in den familiären Raum zurückdrängte, wenn der Mann eine auskömmliche Arbeit hatte. Auch sozialer Druck wirkte auf berufstätige Frauen ein: Ihre Kinder wurden als Schlüsselkinder bezeichnet, weil sie mittags aus der Schule kommend sich selbst ein Essen zubereiten mussten. Der Schlüssel hing am Bindfaden um den Hals …
Städte bauen Wohnraum für berufstätige Frauen
In einer Zeit also, in der das Berufstätig-Sein und die Ehe besonders schwer miteinander in Einklang zu bringen waren, brauchte es Orte, wo alleinstehende, berufstätige Frauen leben konnten. So, jetzt geht’s los mit den einzelnen Häusern. Viel Spaß!
Essen Kaupenhöhe
Das Wohnhaus auf der Kaupenhöhe in Essen habe ich hier im Blog bereits vorgestellt. Die kleinen Apartments sind mittlerweile umgebaut und zu größeren Wohnungen zusammengefasst; heute dient das Gebäude immer noch einem super Zweck als Mehr-Generationen-Wohnhaus.
Ich habe mich seit dem letzten Blogbeitrag bemüht, etwas mehr über das Leben dort herauszufinden. Bewohnerinnen konnte ich nicht mehr auftreiben. Aber ein Mitglied einer historischen Facebook-Gruppe konnte sich noch an die Besuche bei ihrer Tante im Wohnhaus auf der Kaupenhöhe erinnern. Sie schrieb mir:
„Das Hauptgebäude hatte eine Pförtnerloge und endlos lange düstere Gänge. Meine Tante lebte dort, sie war gelernte Schneiderin und zu der Zeit, als ich sie dort besuchte, kurz vor dem Ruhestand. Sie hatte eine nette Einraumwohnung dort, ich glaube mit Bettnische, so wie es damals häufig war. Sie lebte, wenn ich mich recht erinnere, gern dort. Den Besuch dort musste ich immer beim Pförtner anmelden. Dann wurde herauf telefoniert, ob der Besuch genehm war. Ein recht geschütztes Haus also.“
Essen Huttrop
Sehr überrascht war ich, als ich bei meinen Recherchen auf ein zweites Wohnhaus für berufstätige Frauen in Essen stieß: Im Stadtteil Huttrop errichtete der Allgemeine Bauverein AG 1952 das Haus der berufstätigen Frau. Architekt war Horst Wöhle. Anders als die meisten der hier noch folgenden Wohnhäuser hat dieser achtstöckige Bau keine Balkone und wirkt von außen auf den historischen Abbildungen recht karg. Der Zeitschrift „Der Baumeister“ von März 1952 zufolge verfügt das Gebäude über einen Aufzug in Selbstbedienung (!) und auf dem Flachdach einen Dachgarten. Die Ausstattung der Apartments wird wie folgt geschildert: „Jede Wohnung ist für sich abgeschlossen. Auf der einen Seite des kleinen Korridors der eingebaute Wäsche- und Kleiderschrank, an der anderen Seite der Zugang zum WC mit Waschbecken. Eine Glastür führt in den Wohnraum mit Bettnische und eingebautem Bett, das durch Vorhang vom Wohnraum abgekleidet ist. Oberhalb des Bettes in der Bettnische ist ein weiterer Wäscheschrank eingebaut. In einer zweiten Nische, die für einen Ein-Personen-Haushalt ausreichende Kochküche mit elektrischem Koch- und Backofen, Spüle und eingebauten Schränken.“ Je elf Wohneinheiten teilten sich den Baderaum am Ende des Flures. Im Keller befand sich unter anderem eine „neuzeitlich eingerichtete Waschanstalt“.
Das Gebäude gibt es noch – nicht mehr wie ursprünglich strahlend weiß, sondern mit blauen Platten verkleidet und von der AWO genutzt. Das Kuriose: Es fehlt ein Stück des Wohnheims, in der Breite ist es sichtlich geschrumpft – ein Teil des Gebäudes wurde abgerissen, um dem Bau der Autobahn (heute A40) quer durch’s Ruhrgebiet Platz zu machen. Der Essener Abschnitt des Ruhrschnellwegs eröffnete 1961. Das Wohnheim hat also nicht lange in der ursprünglichen Form existiert. An der der Autobahn abgelegenen Seite wurden Gebäudeelemente ergänzt.
Der Volksmund taufte den Bau nicht wie sonst üblich „Drachenburg“, sondern hier „Engelsburg“ oder auch „Nonnenburg“. Ich vermute, dass die dort untergebrachten Schwesternschülerinnen des nahe gelegenen Elisabeth-Krankenhauses besonders sittsam waren!
Gelsenkirchen Bulmke-Hüllen
Im Gelsenkirchener Stadtteil Bulmke-Hüllen steht ein Frauenwohnheim von 1957. Bauherrin und Eigentümerin war die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GGW; heute gehört es der LEG Immobilien SE. 38 frisch renovierte Quadratmeter kosten 259 Euro Kaltmiete. Das sechsgeschossige Wohnheim für alleinstehende und berufstätige Frauen besteht aus einem Hauptgebäude mit Wohnungen und einem zweigeschossigen Riegel, in dem sich im Laufe der Jahre unterschiedliche Geschäfte, Gastronomie und Dienstleistungen wie zum Beispiel ein Eiscafé oder eine Fahrschule befanden. Über Mitglieder des Forums Gelsenkirchener-Geschichten konnte ich einige der genannten Details erfahren. Ein User ergänzte: 1961 seien dort 46 Personen gemeldet gewesen – alles Frauen.
Karlsruhe Innenstadt
Eines der größten und imposantesten Wohnhäuser für alleinstehende Frauen befindet sich in Karlsruhe und ist erfreulicherweise gut in Schuss. Die Apartments – hier vor allem für Kriegswitwen – waren durchschnittlich 25 Quadratmeter groß. Vor dem zwölfgeschossigen Wohnriegel an der Ecke Karlstraße/Mathystraße befindet sich ein flacher, ebenfalls lang gestreckter Bau mit Geschäften, der auch als solcher bis heute genutzt wird. Das namensgebende Ring-Café hat mittlerweile den Betrieb eingestellt, aber ein anderer Betreiber wird Kaffee und Kuchen servieren. Architekt war Karl Brannath, Bauzeit 1953-55.
Köln Lindenthal
Zusammen mit Ulm ist Köln eines der Wohnheime, die von Frauen initiiert wurden. Seit den späten 60er Jahren und bis heute gibt es zahlreiche feministische Wohnprojekte – darum ging es in Köln nicht. Vielmehr fand sich eine Gruppe ehemaliger Schülerinnen eines Mädchengymnasiums zusammen, um sich bereits Ende der 40er Jahre bei der Stadt für geeigneten Wohnraum einzusetzen. Unter den Beteiligten befanden sich wohlhabende Frauen „aus gutem Hause“, was die in der Einleitung beschriebene Not unterstreicht, als Frau in der Nachkriegszeit angemessenen Wohnraum zu finden. Es ging nicht nur ums Geld, sondern auch um den passenden Raum.
Das Haus Luise an der Uhlandstraße im Stadtteil Lindenthal wurde 1953 auf einem Trümmergrundstück errichtet, Architekt war Peter Friedrich Schneider. Die Interessentinnen mussten ein zinsloses Baudarlehen einbringen. Bauherrin war die Wohnungsgesellschaft für den Landkreis Köln m.b.H. Rosemarie Ellscheid, eine der Initiatorinnen, blickt auf den Bau und die Eröffnung zurück:
„Nur wer die furchtbare Wohnungssituation der alleinstehenden Frauen nach dem zweiten Weltkrieg in einer zu 90 Prozent zerstörten Stadt miterlebt hat, kann ermessen was es für die mehr als 70 ‚Ehemaligen’ bedeutete, nicht mehr in einem Trümmergrundstück, möbliert oder bei Verwandten nur geduldet hausen zu müssen, sondern wieder ein kleines eigenes Heim zu haben, eine Wohnung mit einer Türe, die man schließen kann, wenn man allein sein möchte, die aber auch zugleich die Möglichkeit bietet, mit anderen Frauen Kontakt zu pflegen, wenn man die Einsamkeit nicht erträgt.“
Über die Geschichte findet man recht umfangreiche Informationen im Wiki des Kölner Frauengeschichtsvereins. Dort erfährt man, dass Haus Luise vermutlich in den 1980er Jahren umgebaut wurde; statt 65 bis 70 gab es danach nur noch 42 Wohnungen. Es ist heute renoviert und denkmalgeschützt.
Nürnberg, nördlich der Innenstadt
Es handelt sich um das 1949-50 errichtete Wohnheim für berufstätige Frauen am Alfasgarten. Architekt war Wilhelm Schlegtendal. Die Zeitschrift „Der Baumeister“ von März 1952 stellt das Objekt vor. Es sei auf den Fundamenten eines zerstörten Vorgängerbaus errichtet worden; auf vier Stockwerken befanden sich 63 Wohneinheiten. Die Zeitschrift stellt heraus, dass die kleinen Wohneinheiten im Bau mehr Aufwand, beispielsweise durch Sanitärinstallationen, benötigten, und deshalb teurer waren als normale Sozialwohnungen. Das sei durch „sehr gründliche Vorbereitung der Bauarbeiten und sehr sorgfältige Bauleitung“ aufgefangen worden. Der Großteil der Wohnungen war folgendermaßen aufgebaut und ausgestattet: „Die normale Wohneinheit besteht aus Vorraum mit Garderobe und eingebautem Schrank, dem Wohnraum mit Bettnische, einer Küche und einem Bad mit WC. Fast alle Wohnungen haben Balkone zum Garten. Außerdem gehört zu jeder Wohneinheit ein abschließbarer Raum im Keller und im Dachgeschoß. Klingelanlage, Radio-Anschluß und Haustelefon vervollständigen die Wohnungen.“ Der Haupteingang wurde von einer Hausmeister-Loge aus überwacht. Laut der Facebook-Gruppe „Nürnberg- Stadtbild im Wandel“ wurde das Wohnheim kürzlich durch eine Fassadendämmung und einen neuen Anstrich „ziemlich entstellt“.
Ergänzungen: zwei weitere Wohnheime in Nürnberg
Nach der Veröffentlichung dieses Beitrags erhielt ich dankenswerterweise von Sebastian Gulden Infos und Bildmaterial zu zwei weiteren Objekten in Nürnberg, die in diese Sammlung passen. Der Kunsthistoriker ist in der Facebook-Gruppe „Nürnberg – Stadtbild im Wandel“ aktiv und hat im September 2021 für nordbayern.de einen Beitrag über das Nürnberger Wohnheim Wöhrder Wiese verfasst. An dieser Stelle herzlichen Dank für die tolle Ergänzung dieses Beitrags!
Alle drei hier vorgestellten Wohnheime für alleinstehende berufstätige Frauen in Nürnberg stammen aus der Feder des Architekten Wilhelm Schlegtendal, der wohl, wie ich las, eine prägende Figur des Wiederaufbaus war. Alle drei zeichnen sich dadurch aus, dass sie trotz ihrer Kompaktheit die Leichtigkeit der 50er-Ästhetik verkörpern – und durch ihre vielen Balkone. Was für ein Geschenk an die Bewohnerinnen.
Das Haus, das Sebastian Gulden in seinem oben verlinkten Beitrag vorstellt, ist das mit dem Namen Wöhrder Wiese in der Reindelstraße. Es ist das zeitlich mittlere der drei.
Zeitlich direkt daran anschließend entstand das Sonnenwohnheim in der Hufelandstraße – der Name war Programm.
Saarbrücken St. Arnual
Kurz, bevor Corona meinen Bewegungsdrang einschränkte, habe ich Saarbrücken und seine Nachkriegsarchitektur erkundet. Ein besonderes Highlight war das ehemalige Frauenwohnheim St. Arnual von 1953; Architekt war Hans Hirner. Dieser luftige Bau wurde auf Anregung der Frauenbeauftragten des Saarlandes Hedwig Behrens mit Mitteln der Landesregierung errichtet. Die beiden Gebäudeteile streben leicht auseinander, was zur Folge hat, dass das Treppenhaus eine dreieckige Grundform hat. Die Wohnungen sind sehr klein, insgesamt gibt es in dem doch übersichtlichen Gebäude 54 Ein- und Zweiraumwohnungen. Der Bau steht heute unter Denkmalschutz und ist tiptop saniert, eine wahre Freude. Wikipedia weiß mehr.
Ulm Weststadt
Die Donaustadt Ulm konnte sich bis vor Kurzem gleich zweier interessanter Beispiele von Frauenwohnhäusern der Nachkriegszeit rühmen – ein Objekt befand sich am Karlsplatz, das andere, das ich hier betrachten möchte, in der Beyerstraße.
Es entstand auf Initiative von Frauen, die bei der Stadt Überzeugungsarbeit leisteten, Wohnraum für alleinstehende Frauen zu schaffen. Es handelt sich um ein Projekt des Überparteilichen Frauenarbeitskreises Ulm zur Bekämpfung der kriegsbedingten Wohnungsnot, 1948-53. Hier fand ich auch Architektinnen am Werk: Sigrid Kaufmann, Beamtin beim Stadtplanungsamt Ulm und Edeltraud Feuer für das Architektenbüro Riedle, das die offizielle Bauplanung innehatte.
58 Ein- und Zweizimmerwohnungen standen beim Erstbezug zur Verfügung, dazu eine Gastronomie. Es lebten zeitweise auch zwei Männer dort, die kein Dach über dem Kopf hatten finden können. Bis 1986 führte der Überparteiliche Frauenarbeitskreis Ulm das Haus und organisierte soziale Aktivitäten, Vorträge, Ausflüge. Danach übernahm die Ulmer Wohnungs- und Siedlungs-Gesellschaft mbH (UWS). Die „Drachenburg“ blieb ein Frauenwohnheim, aber der Gemeinschaftssinn und eigentliche Zweck gingen verloren, wie die Südwest-Presse aus Ulm berichtet: Aus dem „landesweiten Vorzeigeprojekt in der Beyerstraße [ist] ein bloßes Auffangbecken für finanziell schwach gestellte Frauen geworden.“ Als 2019 das mittlerweile marode gewordene Haus abgerissen werden soll, leben noch immer 51 Frauen in der Beyerstraße. Was den Charme des Gebäudes ausmacht, ist sein Verhängnis: Es befindet sich noch in weiten Teilen im Originalzustand. Jetzt, im Sommer 2021, ist der Abriss vollzogen und die Grube zugeschüttet, erzählt mir Peter Liptau, der dankenswerterweise die Bilder zu diesem Objekt beigesteuert hat. Über die Geschichte des Projektes, seine Finanzierung und auch Baupläne gibt es hier viele nützliche Infos.
Anstelle der Drachenburg aus den 50ern soll jetzt an gleicher Stelle wieder eine Drachenburg entstehen: Die Bauherrin UWS will dem neuen Wohnprojekt mit 27 Wohnungen und Gastronomie den alten, durchaus despektierlichen, Rufnamen ganz offiziell verleihen.
… und das auch noch: Ergänzungen und Hinweise meiner tollen Leserinnen und Leser
- In der Reihe SWR Retro findet sich ein wunderbarer sechsminütiger Beitrag von 1962 mit Interviews der Bewohnerinnen des Frauenwohnhauses in Ulm. Sehr sehenswert, auch, wie der Reporter vergeblich versucht, den Frauen Niedergeschlagenheit, Einsamkeit oder Bedauern über ihre Wohnsituation abzuringen.
- Auch in den Niederlanden entstanden nach dem zweiten Weltkrieg Wohnhäuser für alleinstehende Frauen. Man nannte sie „Sehnsuchtsbunker,“ wie mir ein Instagrammer schreibt. Der Wikipedia-Link ist auf Niederländisch und enthält Hinweise auf konkrete Projekte in verschiedenen Städten wie Rotterdam, Utrecht oder Den Bosch.
- In Stuttgart errichtete der Künstlerinnenverein GEDOK ein Haus mit 34 Wohnateliers und Veranstaltungsraum. 1955 zogen die ersten Künstlerinnen in das von der Architektin Grit Bauer-Revellio entworfene Gebäude ein, das noch heute seinem ursprünglichen Zweck dient.
- Eine besondere Form von Wohnraum für berufstätige Frauen sind solche Unterkünfte, die Unternehmen ihren Angestellten zur Verfügung stellen. Ein Beispiel dafür sind die Grindelhochhäuser in Hamburg, 1946 bis 1956 errichtet. Sie hielten unter anderem Ein-Zimmer-Wohnungen für die Telefonistinnen des nahe gelegenen Fernmeldeamtes der Deutschen Bundespost vor. Auch in Frankfurt am Main existierte ein Postwohnheim in der Florastraße. In die gleiche Kategorie dürften auch Schwesternwohnheime fallen.
Ganz herzlichen Dank an alle, die mich beim Recherchieren unterstützt oder/und noch Hinweise ergänzt haben.
Summary
After WW II, widows and single working women in Germany found it hard to find accommodation if their families couldn’t offer them a bed. Not all of them found someone to marry as millions of men were killed or missing. Others preferred to remain single after becoming economically independent during the war. Post-war reconstruction was designed to cater exclusively for families. To avoid squalid and humiliating housing conditions for women, some cities built “Houses for single working women“ with rather compact 25 sqm apartments. Some of them have been torn down, others are listed and protected. Most of them serve a different purpose now.