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Vor einigen Wochen bekam ich einen Zeitungsausschnitt von meinen Eltern mit der Info, dass in Essen-Holsterhausen wieder mal „so ein Klotz“ aus der Nachkriegszeit unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Das würde mich doch bestimmt interessieren. Danke dafür, liebe Eltern, denn tatsächlich hat sich eine ganz spannende Recherche daraus ergeben: Der vermeintlich hässliche Klotz war nämlich ursprünglich ein „Haus für die berufstätige Frau“. Das fand ich seltsam. Aber der Reihe nach.
Hier ersteinmal Fotos vom heutigen Mehrgenerationenwohnhaus auf der Kaupenhöhe. Architekt war Wilhelm Seidensticker, Baujahr 1955. Das Gebäude direkt hinter dem Folkwangmuseum steht seit November 2019 unter Denkmalschutz. Viele schöne bauzeitliche Details sind erhalten, und die große Freifläche mit dem alten Baum zeigt, wie großzügig die Anlage geplant war. Die Innenausstattung war, so die Denkmalbeschreibung, ungewöhnlich gut für ein Wohnhaus der Nachkriegszeit.
Jetzt frage ich mich, welchen Bedarf so ein zehngeschossiges Gebäude mit 181 Ein- und Zweiraumwohnungen zehn Jahre nach dem Krieg gedeckt hat. Ich wusste von Erzählungen meiner Essener Omas, dass nach dem Krieg die Menschen es gewohnt waren, sich Wohnungen zu teilen oder dass man einzelne Zimmer der eigenen Wohnung vermietete. Schließlich war viel Wohnraum zerbombt und die Schaffung von neuen Wohnungen brauchte ihre Zeit. Noch heute prägen diese Bauten das Straßenbild im Ruhrgebiet. Warum also baute man einen so mächtigen Bau speziell für alleinstehende oder ledige Frauen? Es scheint keine Frage der Moral gewesen zu sein, sondern eine mehrfach praktische Notwendigkeit.
Frauenüberschuss wirkt auf den Wohnungsmarkt
Denn: Nach dem Krieg gab es einfach unheimlich viele alleinstehende Frauen, die Wohnraum benötigten. Ein Hintergrundpapier zur Arbeitswelt von Frauen nach dem Krieg [PDF-Download hier] des DGB Thüringen schildert das sehr anschaulich: „Das Deutschland der Nachkriegszeit war ein Land der Frauen: Trümmerfrauen, Flüchtlingsfrauen, Soldatenwitwen, alleinstehende Mütter, Schwarzmarkthändlerinnen, die auf ihre vermissten Söhne und Männer warteten. 1945 zählte die Statistik sieben Millionen mehr Frauen als Männer, 1950 noch vier Millionen.“ Zudem wurde neu erschaffener Wohnraum bevorzugt an Familien mit Kindern vergeben und Witwen an ihre Familien zurückverwiesen. Die Folge: Frauen hausten zur Untermiete, in ranzigen Souterrainwohnungen oder zugigen Dachkammern oder geduldet bei Verwandten – auf Dauer kein Zustand für eine Generation, die sich beruflich etabliert hatte und sich auch wohl oder übel mit dem Alleinsein arrangiert hatte.
Frauenwohnprojekte der 50er-Jahre
Und deshalb boten Frauenwohnprojekte wie das in der Kaupenstraße Frauen eine würdige, ich würde sagen: erwachsene, Möglichkeit zu wohnen und sein Nachkriegsleben neu aufzubauen. Beim Googeln und Recherchieren habe ich gesehen, dass es eine ganze Reihe der Frauenbewegung verpflichteter Wohnprojekte gibt; zwei interessante Projekte aus der Nachkriegszeit sind einmal das Haus Louise, das 1953 in Köln-Lindenthal eröffnete und heute ein Baudenkmal ist. Beim zweiten handelte es sich um das Frauenwohnheim Beyerstraße in Ulm, das 1948-53 entstand und 2020 abgerissen wird.
Where would you live in post-war Germany as a single woman, a widow, a single parent? When the war ended, there were 7 m more women than men in the country, but post-war housing was allocated preferably to families. Therefore, women’s residential blocks were built. I visited the one in my hometown Essen just as it was being listed under monument protection. The centrally located residential block on Kaupenhöhe had 181 small apartments when it opened in 1955. Architect was Wilhelm Seidensticker. Today, it’s used as a multi-generation house.