Vielfältige Architektur der Moderne in Tunesien

English summary below

Teil 1: Entdeckungen in Tunis

Anfang März 2017 war ich zehn Tage im nördlichen Drittel Tunesiens unterwegs, um Tourismus zu betreiben, ein bisschen Erholung zu genießen und Zeit mit netten Menschen zu verbringen. Eine der positiven Überraschungen der Reise: Sogar mit meiner Vorliebe für die Architekturmoderne kam ich auf meine Kosten. Ob Jugendstil, Art Deco, die klaren Linien des Modernismus oder mächtige Betonbauten der 70er – es gab viel zu sehen. Davon handelt dieser Beitrag.

Es war ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, nach Tunesien zu reisen, denn nur knapp zwei Jahre zuvor hatte es terroristische Attacken auf Touristen gegeben – im Bardo-Museum und am Strand von Sousse. Nur wenige Urlauber trauten sich zu dem Zeitpunkt nach Tunesien.

Optimismus und Aufbruch

Vielleicht denke ich auch deshalb so gerne an die Reise zurück: Das Land war nicht auf Touristen eingestellt und in einer Haltung frühlingsgrüner Tiefenentspannung. Neue Gesetze sollten die Einhaltung der Menschenrechte sicherstellen, das politische System hatte sich stark demokratisiert, die Pressefreiheit verbesserte sich, Frauen wurde mehr Freiheit zugestanden – eine Zeit des Optimismus.

Obere Etagen eines älteren Eckhauses, dessen Farbe abblättert. Werbebanner für die Deutsch-Akademie.
Auf der Rue de Rome, Hauptschlagader der französisch geprägten Neustadt.

Kein kolonialer Blick

Tunesien ist natürlich viel, viel mehr als seine – oft von französischen, italienischen oder bulgarischen Architekten geprägte – Moderne. Dass ich letztere hier relativ isoliert vorstelle bedeutet aber nicht, dass ich die traditionelle Architektur des Landes nicht wertschätze – im Gegenteil, ich war davon hingerissen. Was mir so gut gefallen hat, ist, wie traditionelle Bauformen und Moderne sich ergänzen, ähneln, oftmals sogar miteinander verschmelzen oder einander überlagern. Dies war teilweise auch erklärtes Ziel der Architekten des Wiederaufbaus.

Zum Verständnis folgende Zahl: Tunesien war bis 1956 französisches Protektorat. Das Jahr bedeutet für die Neueroberung der eigenen Identität, die sich ja auch im Bauen ausdrückt, einen Wendepunkt.

Dieser Beitrag zeigt Gebäude, die ich zufällig auf unseren Spaziergängen in der Hauptstadt entdeckte. Ich versuche, sie einigermaßen chronologisch zu ordnen. Den interessanten Gebäuden, die ich bei Ausflügen und Rundfahrten fotografieren konnte, wird demnächst ein eigener Beitrag gewidmet sein. Viel Spaß beim Stöbern!

Verspielte Blumenmuster an einem Haus aus der letzten Jahrhundertwende
Dieser denkmalgeschützte Traumgiebel mit Jugendstilelementen entstand 1909-10 und befindet sich auf der Ecke Rue de Rome/Rue des Tanneurs. Ein schöner Start in den fotografischen Rundgang durch Tunis.
Zwei Fassadendetails aus den 30er-Jahren an heruntergekommenen Gebäuden
Art-Deco-Giebel, die Liebe brauchen: links eines der seltenen Gebäude dieses Stils in der historischen Medina, genauer gesagt an der Place du Tribunal. Es entstand 1932, der Architekt war Amor Douiri. Auf der rechten Abbildung die  Maison Resplandy.
Wohngebäude mit kleinem aufgesetztem Uhrturm, im Vordergrund Menschen und Tramgleise
Immeuble Enicar an der Haltestelle Republique mit dem charakteristischen Uhrturm, errichtet 1931-33, Architekt René Audineau.
Art-Deco-Hausgiebel mit aufgesetzem eckigem Türmchen
Einer der typischen Art-Deco-Giebel, die man in der ganzen Stadt Tunis findet. Dieser ist, wenn ich mich recht entsinne, an der Avenue Bourghiba, der grünen Prachtmeile im Zentrum.
Straße mit weißen Wohn- und Geschäftshäusern im Abendlicht
Die Ville Nouvelle, von den Franzosen errichtetes und geprägtes Viertel, im Abendlicht voller Pendler auf dem Weg zum Bahnhof.

 

Zweistöckiges streng gegliedertes weißes Gebäude
Das Tourismusministerium steht sehr präsent und elegant an der zentral gelegenen Platz des 11. Januar 2011. Leider konnte mir nicht mal eine auf tunesische Nachkriegsarchitektur spezialisierte Gruppe mit Infos zum Gebäude helfen.
Innenhof eines älteren Gebäudes mit Springbrunnen und Mosaikfußboden
Immeuble La Nationale. Schön ist der prachtvolle Hof noch immer, auch wenn ihm ein wenig Zuwendung guttäte. In den 40ern galten diese Arkaden als Top-Adresse mit den besten Geschäften.
Blick aus dem Fenster eine begrünte Straße mit großen Gebäuden entlang.
Und eine Außenansicht des Gebäudes der Versicherung La Nationale am Eingang in die Altstadt. Es entstand 1938-41, Architekt unbekannt.  Ganz in der Ferne der Uhrturm auf der Place d’Afrique.
Zwei etwas ungepflegte ältere Gebäude in Tunis, ein Geschäft und ein Kino
Die Moderne schwingt mit in Tunis, lässig, ein bisschen angezählt, aber noch einigermaßen in Schuss.
Gebäude in Form einer umgedrehten Pyramide
Archiskulptur: Hotel du Lac, 1973, Architekt Raffaele Contigiani aus Italien.
Blau-weiß gestreifte ungewöhnliche Fassade eines großen Hotels
Das Hotel de Deux Avenues – heute das El Hana International – eröffnete 1976.
Mächtig wirkendes Betongebäude, das wie ein Ozeandampfer wirkt.
Die tunesische Zentralbank, Mutter aller Schlachtschiffe unter den Verwaltungsbauten in Downtown Tunis, entstand 1979 nach einem Entwurf de Architekten Abdelmajid Bouzid von 1975.
Zwei Gebäude in Tunis, die ungewöhnlich geformt sind und modern wirken
Weitere  rustikale Betonformen: Links das Haus der politischen Parti Socialiste Destourien, eröffnet 1974, Architekt Mohamed Taïeb Haddad. Heute befindet sich darin ein Gericht. Rechts das Kulturzentrum Ibn Rachiq.
Verschiedene orientalisch wirkende Fassaden in Pastellfarben vor blauem Himmel
Die neuen orientalisch-modernen Gebäude der Tunesische Nationalbibliothek und des Nationalarchivs entstanden zwischen 1984 und 2005.
Eine grüne Tram verlässt die Station Republique in Tunis
Das Straßenbahnnetz entstand in den 80er-Jahren und hat heute eine Länge von 45 Kilometern. Hier verlässt ein in den 90ern von Siemens gebautes Fahrzeug den Bahnhof Republique von 1989.
Fahnengeschmücktes Verwaltungsgebäude und Denkmal
Sieht älter aus, als es ist: das Rathaus von Tunis an der Place de la Kasbah. Errichtet nach Plänen von Ismail Ben Fredj und Wassim Ben Mahmoud und 1998 eröffnet. Im Vordergrund das Nationalmonument aus dem selben Jahr.
Hauptpost und Verwaltungsgebäude, mit viel Glas und verpsielten Formen, davor ein weißer Zaun
Fortschreibung der Moderne im Geschäftsviertel von Tunis. Nicht mein Interessensgebiet, aber ich will es der Vollständigkeit halber hier zeigen.
grüne Büsche, im Hintergrund der moderne Hauptbahnhof
Ohne zeitliche Einordnung: Der Hauptbahnhof von Tunis, oder kurz Station Barcelone nach dem gleichnamigen schön begrünten Platz, von dem ich das Bild gemacht habe.
Zum Abschluss noch ein Alltagsblick auf eine Galerie mit lichtbrechenden Betonelementen. Ich meine mich zu erinnern, dass dort Obst und Gemüse verkauft wurden.

 

Summary

The Tunisian capital Tunis was a wonderful surprise to me when I visited the country in spring 2017. Not only can you see and visit treasures of century old heritage, mosques, souqs, and much more, Tunis is also full of interesting buildings from the 20th century – from art nouveau and art deco to radically modern brutalist buildings. Here I show the photographic fruits of our discoveries in the capital itself; there will be a second part with pictures from outings and other towns in Northern Tunisia.