Die ECA-Siedlung in Essen-Schonnebeck

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg co-finanzierte der US-amerikanische Marshallplan im Essener Norden den Bau einer Siedlung für Bergarbeiter. Ein Kuriosum angesichts der Tatsache, dass Essen eben wegen seiner Schwerindustrie so stark zerstört worden war.

Man sollte ja meinen, dass die Alliierten – stellvertretend für den Rest der Welt – nach dem zweiten Weltkrieg erstmal froh waren, dass Deutschland mit sich selbst beschäftigt war und nicht gleich wieder industriell auf die Beine kam. Aber weit gefehlt: Das Interesse war groß daran, dass sich Europa und damit auch Westdeutschland schnell erholen sollte. Die USA unter ihrem damaligen Außenminister George C. Marshall legten den Marshallplan auf. Die mit der Verwaltung des Geldes beauftragte Behörde nannte sich Economic Cooperation Administration, kurz ECA. Sie gab nicht nur der Siedlung den Namen, sie teilte ihr auch Finanzmittel zu. Zum Einordnen: Im Jahr 1952 waren es ganze 100 Millionen Mark für den Ruhrbergbau – und damit auch für die ECA-Siedlung. Zwischen 1948 und 1952 flossen Wirtschaftshilfen im Wert von 1,41 Milliarden US-Dollar an die BRD.

Wohnraum für Bergleute und ihre Familien im Essener Norden

Das Geld aus dem Marshallplan diente der Wirtschaftsförderung. Und damit die Wirtschaft wieder anspringen konnte, brauchte man: Arbeitskräfte, die es kaum gab. Und für die in kriegszerstörten Städten wenig Wohnraum da war. Über das Problem, Wohnraum für alleinstehende arbeitende Frauen zu schaffen, habe ich bereits hier geschrieben. Dieser Beitrag beleuchtet das Thema quasi aus einer anderen Perspektive. Denn zu den ursprünglich 15 so genannten ECA-Siedlungen in Westdeutschland gehörte auch die in Essen-Schonnebeck. Das grenzt direkt an Essen-Katernberg … na, klingelt was? Richtig, das war der Standort des Zollverein-Großkomplexes mit Zeche und Kokerei und zahlreichen anderen Produktionstöchtern.

Frauen zurück an den Herd, Männer zurück an die Schüppe

Weil jetzt ein paar Jahre nach Kriegsende viele Männer im Arbeitsalltag tot, verschollen, in Gefangenschaft oder anderweitig fehlten, und weil Frauen ja langsam wieder in ihre angestammte Rolle zurückkehren sollten, brauchte es Platz und würdigen Wohnraum für die vielen angeworbenen Bergarbeiter, die in den Bergwerken Zollverein, Joachim, Bonifacius und Dahlbusch schwere Arbeit leisten sollten. Und nicht zu vergessen: auch für ihre Familien.

Landwirtschaftlicher Grund wird zur Arbeitersiedlung

In Essen-Schonnebeck wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt: Knapp 500 Wohneinheiten entstanden innerhalb kurzer Zeit. Ehrlicherweise muss man sagen, dass das Ganze nicht eben eine architektonische Offenbarung ist. Aber: Es gab fünf verschiedene Typen von Ein- und Mehrfamilienhäusern innerhalb eines recht einfachen Gestaltungsrahmens. Und es gab zu jedem Haus einen Garten sowie auch öffentliches Grün auf den ehemaligen Ländereien mehrerer Bauern. Deren Namen sind in den Straßenbenennungen der ECA-Siedlung verewigt zum Beispiel als Ramachersfeld, Opphoffsfeld oder Portendieckstraße.

Schlaues Konzept für ruhiges Wohnen

Eine Besonderheit: Teilweise sind die Häuser nicht direkt mit dem PKW anzufahren, weil nur ein schmaler Fußweg zu den Haustüren führt. Und viele Straßen führen im Bogen durch die Siedlung, sodass es keinen Durchgangsverkehr gibt. Man lebte und lebt noch heute also recht ruhig. Allerdings ist an manchen Stellen sichtbar, dass Autos mit heutigen Ausmaßen einfach keinen Platz in der schlanken Endvierziger-Planung haben. Die SUVs parken dann einfach auf dem Bürgersteig, als wär’s ein Parkstreifen.

Friseure, Bäcker und Schlachter schwangen die Kelle

Schon nach 22 Monaten Bauzeit zogen also die neuen Bewohner*innen der Siedlung ein und der Start war laut Chronik zum 40-Jährigen etwas wackelig: „48 Firmen aus der ganzen Bundesrepublik waren an diesem ECA-Projekt in Essen-Schonnebeck beteiligt. Bei der Hektik, schnellstens die Häuser zu errichten und unter den schlechtesten Witterungsverhältnissen blieb es nicht aus, daß viele Baumängel an den Häusern zu verzeichnen waren. Hinzu kam noch, daß in der Zeit von 1951 bis 1953 ein großer Mangel an Baufachleuten bestand, so daß Friseure, Bäcker, Schlachter und andere Nichtfachleute die Bauarbeiten durchführen mußten.“

Neu gegründeter Siedlerverein hilft bei der Mängelbeseitigung

Es dauerte Jahre, großes Engagement und viele Kämpfe, bis die zahlreichen Baumängel behoben und die Infrastruktur hergestellt waren. Die neuen Besitzer der rund 500 Wohneinheiten waren verständlicherweise sauer: schließlich waren die ECA-Heime deutlich teurer als vergleichbare Angebote und die Nachbesserungen zogen sich. Aus dem Verein der verärgerten Neu-Eigentürmer entstand die Siedlergemeinschaft ECA-Siedlung Essen-Schonnebeck e. V., die bis heute existiert und das soziale Leben in der Siedlung mitgestaltet. Zurück zur Bauzeit: 1955 waren wohl die größten Probleme gelöst; das erste Siedlungsfest wurde gefeiert.

Finanzierung des Wohnraums durch Untervermietung und Zweitjobs

Auf der Architekturplattform Kuladig fand ich folgende Info: „Laut Literatur mussten die Einwohner der ECA-Siedlung zur Finanzierung ihres Baukredites in den meisten Fällen einer Nebenbeschäftigung nachgehen. Dies erfolgte oft entweder in der Untervermietung von Wohnungen oder auch durch den Verkauf von Getränken (Sprudelwasser und Bier).“ So ähnlich erzählten das auch Mitglieder der Siedlervereinigung beim Open-House-Festival 2023. In der Chronik zum 40. steht, dass bereits 1955 rund 70 der „Eigenheimer“ untervermieteten.

Heute steht die Siedlung gut da und scheint ein beliebter Wohnort zu sein. Viele der Häuser sind um- und ausgebaut, teilweise stark individuell gestaltet, was ohne Denkmalschutz auch problemlos möglich ist. Doch obwohl die Siedlung so etwas Besonderes ist, habe ich über die Planung an sich, die Architekt*innen nichts herausgefunden. Wer also Infos hat – ich ergänze das hier gerne!

Eine Reihe gestaffelter farbenfroher zweifamilienhäuser bergauf, im Vordergrund Wiese, im Hintergrund Bäume. Eine Postkarte zeigt das gleiche Motiv, aber abstrakt gezeichnet. Sie trägt den Schriftzug open house ESSEN.
Mit diesem Motiv von Open House Essen war mein Interesse geweckt: schmucke 50er-Architektur im Essener Norden, und ich hatte noch nie davon gehört.
Blick über einen Garagenhof auf ein höheres, ockerfarben gestrichenes Gebäude mit steilem Dach. Im Erdgeschoss sind viele Fenster, man ahnt einen Veranstaltungsraum.
Im ehemaligen Waschhaus der Siedlung befindet sich heute ein Festsaal und andere Räume; auch die Siedlervereinigung hat hier ihren Sitz.
Blick über Autodächer hinweg auf eine Reihe von Einfamilienhäusern und weitere parkende Autos. Die Häuser sind unterschiedlich stark renoviert, eines hat Solarpaneele auf dem Dach.
Es sind nur wenige Bautypen, die immer wieder variiert wurden und die Siedlung bis heute optisch einigermaßen zusammenhalten.
Schmale Reihenhäuser mit unterschiedlicher Fassadengestaltung mit dunkelgrauem Schiefer und hellen klinkern. Glasbausteine und Deko-Figuren schmücken die Eingänge.
Ohne erklärte Denkmaleigenschaft sind die vielen individuellen Renovierungen, Sanierungen und Optimierungen kein Thema.
2,5 Gehsteinplatten schmaler Weg führt an Hauseingängen vorbei. Links jeweils einige Stufen zur Haustür, rechts Zäune und ein Trafokasten. Vor den Häusern stehen Mülltonnen und eine Pflanze im Kübel.
Die Siedlung ist so konzipiert, dass es teilweise zwischen den Straßen kleine, nicht mit einem Auto befahrbare Durch- und Zugänge zu den schmalen Häusern gibt.
Ein Straßenschild "Ramchaersfeld", im Hintergrund ein mit Backsteinen und Holz verkleidetes Stück Fassade.
Straßenschilder erinnern an alte Flurnamen und Höfe, auf deren Grund die Siedlung entstand. Die Straße Ramachersfeld erinnert an den Kotten Ramacher, benannt nach einem 1795 urkundlich erwähnten Tagelöhner und Schuppenkötter Ramacher. Ein Schuppenkötter ist ein Kleinbauer, der weder Haus noch Scheune, sondern eben nur einen Schuppen besaß.
Ein Stück Garten mit Wiese und Büschen. Eine bepflanzte Bergbaulore und davor eine Metalltafel mit schlecht lesbarer Inschrift.
Die Tafel vor der Lore, errichtet von der Stadt Essen, würdigt den Marshallplan für den Wiederaufbau Europas.

Blick auf eine Reihe sich gegenüberstehender älterer Garagenmit schmalen Toren, im Hintergrund Büsche und Bäume.
Ich weiß nicht, ob die Garagen noch zur Siedlung gehören, aber ich vermute, dass hier die Besitzer der Häuser ohne PKW-Zugang (und damit ohne Stellplatz) ihre Fahrzeuge unterstellen konnten.

Ganz herzlichen Dank an Open House Essen dafür, dass ihr die ECA-Siedlung 2023 vorgestellt habt. Und ein herzliches Glück auf an M. fürs Manuskript zum 40. Siedlungsgeburtstag!

 

Summary

Shortly after World War II, the US Marshall Fund co-financed the construction of a housing settlement in northern Essen for coal miners. The settlement in Essen-Schonnebeck, part of 15 such projects in West Germany, provided housing for workers, many of whom were recruited to work in local coal mines. Despite construction issues, the community thrived, and residents often supplemented their income through side jobs to cover housing costs. The settlement’s design was practical, with nearly 500 residential units built quickly to meet the demand for housing. While the architecture was not particularly innovative or aesthetically striking, it offered five types of single-family and multi-family houses, each with a garden and public green spaces. Many of the homes have been remodelled or expanded over the years, reflecting the personal tastes and needs of the residents. Despite its historical and architectural significance, the settlement does not have formal heritage protection.