Auf einem dreieckigen Grundstück wendet sich ein Gebäude mit auffälliger Form der Straße zu. Eine senkrecht und waagerecht gestaltete Fassade und ein vorgelagerter runder Pavillon.

Ausdrucksvoller Backstein der Zwischenkriegszeit in Essen/Ruhr

Der erste Weltkrieg ist vorbei, die Künste boomen, die Ruhrbesetzung verunsichert die Bevölkerung, die Industrialisierung beschleunigt das Leben in den Städten – und die Architekt*innen lassen sich anstecken von der fiebrigen Atmosphäre. Sie gestalten skulpturale Gebäude in Backstein und Klinker, die noch heute wirken.

English summary below

Nach dem ersten Weltkrieg entwickelt sich parallel zum ornamentarmen Bauhaus ein ganz eigener Baustil – der Backsteinexpressionismus. Ausdruckstarke Bauten aus Backstein oder hoch gebrannten und deshalb besonders robusten Klinkern entstehen für fast alle Lebensbereiche: von der Kirche bis zum Industriebau, von Infrastrukturgebäuden bis zu Wohnanlagen. Alle bestechen durch eine fast übermütige Formensprache. Der teurere Klinker ist besonders im „Kohlenrevier“ beliebt, weil er so robust ist und der Umweltverschmutzung der Industrialisierung widersteht.

Besonders der Umgang mit den Backsteinen oder Klinkern auf Fassaden bringt lebhafte Muster hervor. Spitze und verspielte Gebäudeformen spiegelten die lebhaften Entwicklungen der Großstädte – immerhin sind wir in den roaring Twenties! Beliebt sind auch sanfte runde Ecken und Bullaugenfenster, die die Ästhetik der Ozean-Riesen mancher Art Deco-Bauten vorwegnehmen.

Skulpturale Schönheiten aus einer Zeit, als der Pott noch so richtig kochte

Einer der geographischen Schwerpunkte des Backsteinexpressionismus in Deutschland ist die Rhein-Ruhr-Region. Ich konzentriere mich mit diesem Blogbeitrag auf Gebäude, die ich – mit einigen Ausnahmen – 2020 und 2021 in Essen abgelichtet habe. Einige Highlights wie das Haus der Technik fehlen noch. Experten seid versichert – mit dem Thema bin ich noch lange nicht durch.

Warum mir die Bauten neuerdings so gefallen? Ich kann es gar nicht so recht sagen. Beim Durchsehen der Fotos für diesen Blogbeitrag fand ich die Formensprache so besonders eigenwillig. Das ist ja auch einer der Gründe, warum ich Betonmonster der 60er und 70er Jahre suche und fotografiere. Ich komme langsam zu dem Schluss, dass ich auch beim Backsteinexpressionismus wieder den Verlockungen der Archiskulptur erlegen bin.

Und falls jetzt jemand Lust hat, Zwischenkriegs-Backstein zu jagen? Der Raum Rhein-Ruhr, Berlin und Norddeutschland sind Hochburgen, in den Niederlanden gab es die Amsterdamer Schule, deren Vertreter ebenfalls Expressionistisches in Ziegeln planten. Wertvolle Quellen sind die drei Bände der Reihe „Fragments of Metropolis“, die sich verschiedenen Backstein-Paradiesen widmen (allerdings braucht man etwas Geduld, da Reihenfolge und Zuordnung nicht intuitiv nutzbar sind).

Kreuzung zweier mehrspuriger Straßen, auf der Ecke ein Verwaltungsgebäude aus Backstein mit runden Ecken und Fensterbändern. Man kann die Buchstaben "Ruhr" erkennen.
Leider ein bisschen überrenoviert und die Fensterbänder stark verändert, aber aus meiner Sicht noch immer ein Prachtstück der 20er-Backsteinarchitektur in Essen. Der Sitz des 1920 gegründeten Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk an der Kronprinzenstraße entstand nach Plänen von Alfred Fischer 1928-29. Natürlich denkmalgeschützt und top in Schuss. Heute residiert dort die Nachfolgeorganisation Regionalverband Ruhr RVR. Ich habe optisch überaus störende Fahnen vom Dach wegretuschiert.
Vierstöckiges, großes Büro- oder Verwaltungsgebäude aus Backstein mit weißen Sprossenfenstern, Fahnen vor dem Eingang.
Ein direkter Nachbar des RVR ist der Ruhrverband. Das ursprünglich Ruhrhaus genannte Gebäude hatte ein flaches Dach und wirkte um einiges moderner. Architekten Georg Metzendorf und Jacob Schneider, 1928.
Backsteinfassade, Blick auf eine Tür mit steinerner Einfassung. Oberhalb der tür drei fliegende Vögel in abstrakter Darstellung.
Schönes Detail am Eingang zum oben gezeigten Ruhrhaus.
Auf einem dreieckigen Grundstück wendet sich ein Gebäude mit auffälliger Form der Straße zu. Eine senkrecht und waagerecht gestaltete Fassade und ein vorgelagerter runder Pavillon.
Die Firma Dinnendahl fertigte im Stadtteil Bergerhausen Maschinen für den Bergbau. Die Fabrik wurde nach einem Brand 1925 teilweise neu aufgebaut, der Architekt ist nicht bekannt. Ein Instagram-Follower nannte den Namen Bernhard Wielers, aber das konnte ich nicht verifizieren. Der Bau steht unter Denkmalschutz, wurde aber von Grund auf umgebaut zu Lofts, wie man seitlich sehen kann.
Blick nach oben einen Turm aus Backstein hinauf. Ein Fensterband aus Glasbausteinen und andere Elemente ziehen den Blick zu den Verzierungen am Dach.
Im Stadtteil Frillendorf gibt es zwei Backsteinexpressionismus-Highlights. Eines davon ist der Wasserturm, der 1925-26 nach Plänen von Edmund Körner entstand. Seit den 1980er-Jahren steht er unter Denkmalschutz und versieht weiterhin seinen Dienst.
Ein Kirchengebäude und laublose Bäume, einige Büsche. Der Kirchenbau aus Backstein wirkt wie eine Skulptur.
Ganz in der Nähe des Frillendorfer Wasserturms steht die Kirche Heilige Schutzengel. Diese wurde nach Entwürfen des gleichen Architekten – Edmund Körner – im Jahre 1925 fertiggestellt.
Eine reihe von drei vierstöckigen Häusern. Das in der Mitte tritt durch seine durchgestaltete, hochgezogene Fassade aus Backstein hervor. Die weißen Fensterrahmen dominieren die Fassade.
Ehemaliges Postgebäude am Karnaper Markt. Architekt Karl Großkopf, 1925. Leider zerstören die neuen Fenster den harmonisch-minimalistischen Gesamteindruck. Am Markt stehen noch zwei Aufsehen erregende Gebäude aus den 20ern, vor denen groß gewachsene, dicht belaubte Bäume stehen … Keine Fotos also.
Eine ruhige schmale Straße. An der kreuzung ein vierstöckiges Backsteingebäude mit großem gerundetem Element an der Straßenecke.
Gebäude am Karnaper Markt aus den 20ern, Architekten Alfred Wahl und Aribert Rödel.
Wohn- und Geschäftsgebäude an einer Straße mit Straßenbahnschinen. An der Ecke ein rundes Erkerelement aus Backstein, unten ein Optiker und geparkte Autos.
Dieser hübsche Bau in Essens nördlichstem Stadtteil Karnap dürfte auch ins Beuteschema passen. Durch den Bergbau war Karnap wohlhabend, was man an den erhaltenen Bauten und der wirklich schönen Zechensiedlung noch gut sehen kann.
Schräge Ansicht eines Gangs, der elliptische Bogenrundungen hat, wie ein Säulengang. Im Hintergrund ein höheres Gebäude mit industrieller Anmutung.
Auch für den 1926 fertiggestellten Südwestfriedhof im Stadtteil Fulerum fand Architekt Ernst Bode expressive Backsteinformen. Bode war zu der Zeit Beigeordneter für das Hochbaudezernat der Stadt.
Ein flaches Gebäude mit ellipsenförmigen Rundbögen und hohem Hauptteil, davor ein leerer Platz und zwei Säulen, die von Kreuzen gekrönt sind.
An der Fassade der Einsegnungshalle auf dem Essener Südwestfriedhof befand sich ein Kunstwerk des kommunistischen Bildhauers Will Lammert, das die Nationalsozialisten als entartet betrachteten und zerstörten. Ich finde, es fehlt.
Eine große Straßenkreuzung. Ein siebenstöckiges helles Gebäude mit Fensterbändern und einer Art zentralem Turm. Darauf die Beschriftung "Trip Inn".
Es leuchtet! Das Osram-Haus im schönsten Sommersonnenschein strahlt frisch renoviert. Architekt war Ernst Knoblauch, 1928. Heute ist es ein Hotel, doch der Name kommt von seiner früheren Nutzung zunächst als Möbelhaus und schon ab 1930 als Niederlassung der Berliner Firma Osram. Große Leuchtbuchstaben auf der Fassade ließen den Namen wohl kleben bleiben …. Irgendwie wurde da auch ordentlich dran herumverändert: Fensterbänder und charakteristische Bullaugenfenster sind verschwunden, leider. Diverse Verbände und Firmen hatten nach dem Krieg hier ihren Sitz, zuletzt stand der schöne Bau leer. Rechts schiebt sich noch ein Stück Nachkriegsarchitektur ins Bild, ein Berufskolleg aus den 50ern. Hinter dem Osram-Haus stand das Gebäude der WAZ, das nun abgerissen ist.
Backsteingebäude mit Steinportal am Eingang, der dritte Stock mit eng beieinanderstehenden hochkantigen hell gerahmten Fenstern und das Schrägdach passen stilistisch nicht.
Verwaltungsgebäude der Zeche Vereinigte Helene Amalie, Architekt Edmund Körner, 1915. Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bau stark verändert. Hier gibt es Infos und hier ein Foto des ursprünglichen Baus.
Komposing aus zwei Detailfotos, die Bildhauerische Arbeiten zeigen.
Detailansicht der Bildhauerarbeiten am Eingang des obigen Verwaltungsgebäudes der Zeche Vereinigte Helene Amalie. Soweit ich erkennen kann, befinden sich im Gebäude vor den Kriegszerstörungen an dieser Stelle keine künstlerischen Gestaltungselemente.
Gewerbegebiet, etwas Müll. Im Bildzentrum ein fensterloser Backsteinbau mit zurückhaltender abstrakter Fassadengestaltung.
Werkstattgebäude von Schacht Amalie, Architekt Christian Bauer, 1936. Gleiches Jahr wie das noch heute erhaltene Fördergerüst, das der Wasserhaltung dient.
Ein markanter Backsteinbau mit runden Ecken und auffälligen Fensterbändern. Viele Banner, Schilder und Ampeln lenken den Blick ab.
Das Schwimmbad Altenessen könnte man leicht übersehen in seiner ganzen Pracht, weil es leider vollgehängt und -gestellt ist mit Bannern, Werbung und Verkehrsschildern. Wer innehält und hinschaut, kann sich über sanfte runde Ecken und viele schöne Details freuen. Das Bad dient noch immer seinem ursprünglichen Zweck und feiert bald 100-Jähriges: Es wurde 1928-30 erbaut und umfasste „Brause-, Wannen- und Schwitzbäder, eine öffentliche Bedürfnisanstalt sowie eine Normalschwimmhalle“. Architekt war Ernst Bode. Heute steht es unter Denkmalschutz.
Achtstöckiges Gebäude, der höhere Teil aus Stein, ein niedrigerer Teil aus Backstein. Expressionistische Details wie ein gerundetes Eingangselement oder dreieckige Fensteröffnungen.
Reichspostdirektion, heute Hauptpost am Essener Hauptbahnhof. Wilhelm Hoeltz, 1924-25, Erweiterung (Gebäudeteil mit Muschelkalkfassade) 1933. Der mächtige Bau bildet als einer von dreien den Eingang zur Essener Innenstadt. Seit 1988 denkmalgeschützt. Rechts hinter der Laterne erkennt man noch so eben die Fassade des ehemaligen Horten-Kaufhauses, deren Kacheln schon abmontiert waren, als ich das bild machte.
Detailansicht einer abstrakten Adlerdarstellung aus Stein an einer Steinfassade mit Fenstern.
Fassadendetail zum vorigen Bild: der Adler als Symbol der Bundespost, die es seit 1995 nicht mehr gibt.
Wuchtiges dreieckiges Gebäude, das einen ganzen Häuserblock einnimmt. Zur Kamera hin eine hohe Fassade, die geschwungenen Seitenflügel etwas niedriger. Beschriftet mit GEMARHAUS. Zwei Mobilfunkantennen auf dem Dach.
Im Zentrum des Stadtteils Holsterhausen steht das Gemarhaus, das neben einem heute geschlossenen Kino mit 1.150 Plätzen Raum für Büros und Händler bietet. Es entstand 1930, Architekt war Hans Schäfer.
Eine vierspurige Straße ohne Verkehr. Ein vierstöckiges älteres Gebäude aus Backstein mit Steinsockelgeschoss und einem Portikus aus Rundbögen. Ein Teil des Gebäudes ist wuchtig modern aufgestockt, sodass die Proportionen nicht mehr funktionieren.
In der Dämmerung ein fast autofreier Blick auf das Glückaufhaus an der B 224. Architekt Ernst Bode, 1923. Das Gebäude in Ziegeln und Ruhrsandstein ist seit der Renovierung stark überformt, aber man erahnt noch, dass es monumental gewirkt haben muss. Es diente ursprünglich als Büro- und Verwaltungsgebäude, wurde anschließend Sitz der Gauleitung Essen und wurde anschließend von der britischen Militärverwaltung genutzt. Nach Jahrzehnten als Bürohaus wurde es in den Nuller-Jahren komplett umgebaut. Das Filmstudio Glückauf im Keller existiert seit 1924 und ist noch heute – eingerichtet im originalen Mobiliar der 50er – als Programmkino in Betrieb. Hingehen!

Summary

After WWII, the Ruhr became one of the centres of brick expressionist brick architecture. I have put together my collection of pictures from that period in the city of Essen. Famous Haus der Technik is still missing – I’ll make it my mission to add it.