Als ich die blaue Brücke über eine Hauptverkehrsstraße der Hamburger Innenstadt im Oktober zum ersten Mal sah, war schon klar, dass das auch das letzte Mal sein würde. Warum ihr Abriss ein Ärgernis ist, dazu ein kleiner Beitrag und aktuelle Bilder.
English summary below
Quer durch die Hamburger Innenstadt läuft eine große Ost-West-Verbindung, die Bundesstraße 4 – so ein richtig lautes Ding mit sechs Spuren und mehr, Zeugnis der autogerechten Stadt aus den 60er-Jahren. Hier in der Neustadt heißt sie Willy-Brandt-Straße. Damit der Verkehr gut fließen kann, vermieden Verkehrsplaner*innen in der Vergangenheit, ebenerdige Übergänge für Fußgänger*innen, Rollstuhlnutzer*innen, Menschen mit Rollatoren und Kinderwagen, Skater*innen, Radfahrer*innen oder andere Zweiräder. Alles, was nicht vier Räder hatte, sollte über den Verkehr oder unter dem Verkehr hindurch kreuzen. Das war oftmals nicht barrierearm oder gar -frei.
Die so genannte Cremonbrücke in der Hamburger Innenstadt gehört zu dieser Sorte Infrastruktur, die den Zufußgehenden das Leben schwer macht. ABER: Sie hatte auf beiden Seiten Open-Air-Rolltreppen. Die sind wartungsintensiv, aber schon eine Erleichterung für viele. Und irre mondän – ich finde sie super.
Postmoderne Ikone in Blau
Gestaltet haben die formschöne, skulpturale blaue Brücke PSP Architekten (Pysall, Stahrenberg & Partner). Eingeweiht wurde sie 1982. Gestalterisch besonders war der an einen Schiffsmast erinnernde Träger, an dem die Brücke wie ein Segel zu hängen schien. Eine dezente maritime Anspielung in postmodernem Chic. Ihren Namen – Cremonbrücke – trägt sie zur Erinnerung an die frühere Elbinsel Cremon.
Das Bauwerk entstand zur gleichen Zeit wie die benachbarte Filiale der Bundeszentralbank (errichtet als Landeszentralbank) – eine mächtige brutalistische Präsenz, die gleich signalisiert, dass es hier um Solidität geht. Entstehungszeit war 1976-81, Architekten Hannes Westermann / Pysall, Stahrenberg & Partner. Finanziert wurde die Brücke seinerzeit von dem Geldhaus, um besseren Zugang zu den Parkplätzen zu gewährleisten, entnehme ich einem etwas spöttischen Welt-Artikel vom 16.7.2019.
Fachleute sprachen sich für Erhalt aus
Und warum ist sie jetzt weg, wenn sie doch formschön, beliebt und funktional war? Wenn doch Fachleute, besonders der Denkmalverein Hamburg e. V., sich für sie einsetzten, ebenso wie Bürger*innen? Als Aussichtspunkt beliebt, eine stadtbildprägende Institution. Warum musste sie jetzt kurz vor Allerheiligen mit viel Kawumms einfach abgerissen werden? Bei Hamburg1 ist zu erfahren: Die Stadtentwicklungsbehörde möchte, dass die Willy-Brandt-Straße die verschiedenen Stadtteile weniger stark trennt, was eine ebenerdige Querung fördere. „Gleichzeitig eröffne der Wegfall der Stützpfeiler Räume für die Aufwertung der Plätze und öffentlichen Räume, allen voran des Hopfenmarkts.“ Naja. Anderen Medien entnehme ich, dass ihre raumgreifenden Auf- und Abgänge einem geplanten Neubau auf der südöstlichen Seite im Weg sind – eine Frage von Quadratmetern! – und dass die Wartung der Rolltreppen zu teuer ist.
Nun, es ist zu spät. Sie ist weg. Ich staune und wundre mich, weil das nicht der einzige Bau der Moderne in Hamburg ist, den ich verschwinden sah oder dessen Existenz bedroht ist. Hamburg scheint einen durchaus robusten Umgang mit seinem baukulturellen Erbe des 20. Jahrhunderts zu pflegen. Doch davon demnächst mehr an dieser Stelle.
Summary
Cremon Bridge from 1982 has recently been taken down. The outside escalators were too expensive to maintain and the 6 lane fast road in the centre of town needs a crossing that is accessible for people with disabilities also. The blue sculptural bridge was quite unique, experts demanded Denkmalschutz heritage protection. Alas, it’s gone now. A few pics of its last days. I’ll write more about Hamburg being quick in destroying its built heritage from the 20th century in a post to come.