Skulptur vor der Unternehmenszentrale von West-Lotto

West-Lotto in Münster: Zum 100. Geburtstag von Harald Deilmann

English summary below

Harald Deilmann und ich – das ist eine lange Geschichte. Die begann schon, als ich noch nicht mal „Haus“ buchstabieren konnte – schließlich verbrachte ich die ersten Jahre meines Lebens in einem von Harald Deilmann Anfang der 1960er Jahre geplanten Wohnhaus „für junge Familien“. Bis heute gibt es immer wieder Anknüpfungspunkte mit dem überaus produktiven Planer, der sich – sehr sympathisch aus meiner Sicht – auch als „Kind des Ruhrgebiets“ bezeichnete. Anlass war, dass er einige Jahre seiner Kindheit in Essen verbrachte, wo ich auch aufgewachsen bin. Und in Essen hat er auch in den 80er-Jahren das große Werk eines anderen Architekten vollendet, das bereits in den 50ern von Alvar Aalto geplante Opernhaus.

Unternehmenszentrale von West-Lotto
In den 70er Jahren entstand der Turm als Ergänzung zum West-Lotto-Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren.

Ob Theater, Verwaltungsbau, Wohnhaus, Kinderdorf, Spielbank oder Kirche, aus meiner Sicht sind die Gebäude immer stimmig, passen sich in die Umgebung ein, sind selbstbewusst und moderat zugleich. Geschmack zählt ja nicht so richtig, aber ich schreib’s trotzdem: Seine Sachen gefallen mir. Für mich ist Deilmann einer der ganz großen der deutschen Nachkriegsmoderne. Gestern, am 30.8.2020, wäre er 100 Jahre alt geworden.

Unternehmenszentrale von West-Lotto, Altbau
Eingangsüberdachung zum Gebäudeteil aus den 50er-Jahren.

Dies hier ist eine zugegebenermaßen eilige Würdigung. Die Sache mit dem runden Geburtstag wurde mir erst gestern bewusst, als ich in einer von Deilmann gestalteten Kirche – St. Anna im Münsteraner Stadtteil Mecklenbeck – einem Vortrag von Stefan Rethfeld über sein Werk lauschte. Veranstalter war der Bund Deutscher Architekten Münster-Münsterland.

Treppenhaus West-Lotto in Münster
Treppenhausdetail an der West-Lotto-Unternehmenszentrale an der Weseler Straße.

Deshalb möchte ich mich mit meiner Würdigung auf ein Gebäude beschränken, die West-Lotto-Zentrale, die ich gestern auf dem Weg zum Vortrag angesehen habe. Es wäre auch ausgesprochen schwierig, auf die Schnelle aus dem rund 1.700 Projekte umfassenden Werk eine repräsentative Auswahl zu treffen! Auch wenn es in Deutschland zwei klare Schaffensschwerpunkte Deilmanns gibt – Stuttgart sowie Münsterland-Ruhrgebiet-Rheinland – ist er in seiner Produktivität kaum zu greifen. Bis in den Iran reicht sein Tätigkeitsfeld. Zudem hat Deilmann an seiner Alma Mater und an der später neu gegründeten Universität Dortmund sein Wissen weitergegeben.

Abluftröhren auf dem Gelände von West-Lotto in Münster
Ist das Kunst oder „nur“ Abluftröhre? Vermutlich beides!

Noch zwei Anmerkungen: Erstens finde ich seine berufliche Qualifikation ausgesprochen bemerkenswert. Den ersten Teil seines Studiums organisierte Deilmann als Kriegsgefangener in den USA gewissermaßen selbst, in einer Lagerakademie gemeinsam mit seinen Mitgefangenen. Dort entstand wohl auch der Wunsch, Architekt zu werden. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schaffte er es, sein Architekturstudium in nicht einmal zwei Jahren in Stuttgart abzuschließen. Die Vorlesungen aus dem Lager wurden ihm anerkannt. Hellsichtig hatte er sich darum bemüht, möglichst zügig fertig zu studieren, weil ihm klar war, dass Deutschland vor einem gewaltigen Wiederaufbau stand, den er mitgestalten wollte.

Und zweitens: Es gefällt mir, dass er systematisch und häufig mit Künstlern zusammenarbeitete. Auch dies ein Impuls aus dem Vortrag gestern, dem ich gerne zu anderer Gelegenheit weiter nachgehe. Zum Beispiel sind Skulpturen oft Teil der gestalteten Umgebung von Deilmann-Bauten. Besonders erwähnenswert ist für mich das offene Gelände rund um die West-LB in Münster, auf dem man mehrere Kunstwerke sehen kann. Dann sind Teile seiner Gebäude künstlerisch geformt; besonders charmant finde ich seinen Umgang mit Lüftungsrohren. Auch hier sei wieder die West-LB genannt, deren außerirdische Abluftplastik von Friedrich Gräsel so viel Spaß macht. Und schließlich haben viele der von ihm geplanten Gebäude skulpturale Qualitäten, die Deilmann besonders ausmachen.

Haupteingang West-Lotto in Münster
Der elegante Eingang zum Gebäudeteil aus den 50er-Jahren, später aufgestockt und um das Treppenhaus ergänzt. Rechts im Hintergrund der Turm einer Versicherung, entworfen von Duk-Kyu Ryang aus Korea und HPP Architekten in Düsseldorf, eröffnet 2014.

Hier also die Eckdaten zur Hauptverwaltung von West-Lotto, errichtet ursprünglich als Nordwest-Lotto. Das Gebäude hat drei Teile; der flachere, fünfstöckige stammt aus den späten 50er-Jahren, der Turm ist eine Ergänzung von 1978 und 1994 folgten weitere Anbauten und das externe Treppenhaus am Altbau. Die Grundplanung folgt der Form des Quadrats; das Gebäude sieht extrem aufgeräumt aus. Auf der Seite zur Weseler Straße blitzt vielleicht sogar ein bisschen Mies van der Rohe durch; die Skulptur „Traum“ von Bernhard Heiliger aus dem Jahr 1959 erhebt sich elegant aus einem quadratischen Kiesbett.

Skulptur vor der Unternehmenszentrale von West-Lotto
Skulptur „Traum“ von Bernhard Heiliger aus dem Jahr 1959. Passend zum Wunsch der Lottospieler.

Später wurden Deilmanns Entwürfe freier, skulpturaler, weniger förmlich – viele gute Anlässe für weitere Erkundungen und Betrachtungen. Und die Beschäftigung mit dem Meister wird nicht abreißen: Im kommenden Jahr würdigt eine Ausstellung im Baukunstarchiv NRW Harald Deilmanns „Lebendige Architektur“.

Fassadendetail West-Lotto in Münster

Summary

Harald Deilmann (2020-2008) was one of the most prolific and distinctive German architects of the post-war modern generation. He started in the 1940 already and left his mark in the Stuttgart area as well as in Münster and in the Rhine-Ruhr area, designing anything from schools, residential buildings, architecture for leisure such as casinos, state and administration buildings, churches and much more, often collaborating closely with artists. On the occasion of what would have been his 100th birthday I attended a lecture and sought out yet another of his buildings with my camera: The West German State Lottery HQ in Münster. All that (presumably) because I am heavily influenced by the fact that I spent my first years in a Deilmann block of flats designed for young families.